Kleine Anfrage: Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum beschäftigt sich mit Adbustings

Adbusting-Skandal beim Verfassungsschutz: Beim sogenannten Adbusting verfremden Aktivist*innen Werbeposter z.B. der Polizei, der Bundeswehr oder des Verfassungsschutz bis zur Kenntlichkeit. Diese politische Freizeitbeschäftigung hält der Geheimdienst für so bedrohlich, dass im aktuellen Verfassungsschutzbericht davor gewarnt wird. Doch damit nicht genug: Eine Kleine Anfrage der Linken Ulla Jelpke zeigt, dass sich das „Gemeinsame Extremismus und Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern (GETZ)“ in den letzten zwei Jahren viermal mit dem Überkleben von Werbung beschäftigt hat.

„Es wäre ganz herrlich mit anzusehen, wie die Überwachungsbehörden sich hier lächerlich machen“ findet Klaus Poster von der Soligruppe Plakativ. „Doch leider brauchen wir angesichts von rechten Prepper-Mörder*innen, die sich teilweise aus den Magazinen von Polizei und Militär bedienen, eine gesellschaftliche Debatte, ob wir uns weiter Behörden leisten wollen, die auf dem rechten Augen blind sind.“

Mit Adbusting in den VS-Bericht

Der aktuelle Verfassungsschutzbericht 2018 des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) führt als Bedrohung für den Staat auch veränderte Werbeplakate an. Als Beleg dient dem BfV das Bild einer Adbusting-Aktion, bei der Imagewerbung der Berliner Polizei mit dem Slogan „Da für 5003 Schlagstockeinsätze pro Jahr und die beste G20-Party“ bis zur Kenntlichkeit entstellt wurde. Die erwähnte Aktion zum Polizeikongress 2018 kritisierte darüber hinaus auf weiteren Postern institutionellen Rassismus, sexistisches Macker*innentum und Überwachung.  Dazu stellte die Linksfraktion im Bundestag eine Kleine Anfrage: „Nicht Adbusting, das polizeiliches Fehlverhalten anprangert, ist das Problem, sondern das polizeiliche Fehlverhalten selbst. Hierüber wäre eine Debatte nötig“, begründeten die Abgeordnet*innen ihre Anfrage.

Ist Adbusting Terror?

Die deutschen Geheimdienste beschäftigen sich noch weitaus häufiger mit dem Überkleben von Werbeplakaten, als bisher angenommen. In der Antwort auf die Kleine Anfrage muss Staatssekretär Günther Krings (Innenministerium) zugeben: „Darüber hinaus wurden 2018 und 2019 vier Sachverhalte als Adbusting-Aktion im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum Links (GETZ-L) eingebracht“. „Das GETZ wurde 2012 gegründet, um rechte Mörderbanden wie den „Nationalsozialistischen Untergrund“ zu jagen“, erklärt Klaus Poster von der Soligruppe Plakativ. „Und nun beschäftigen die sich mit dem Verändern von Werbeplakaten durch Linke.“ Auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) hat laut Antwort auf die Kleine Anfrage eine ausführliche Datensammlung zu veränderten Werbeplakaten der Bundeswehr angelegt. Der MAD erfasst Zeit, Ort, Art und Urheber*innen der Adbustings in seinen Datenbanken.

Gewalttaten?

Um die Einordnung von Adbusting in den Bereich „Linksextremismus“ zu rechtfertigen, behauptet das BfV in der Antwort zudem mehrmals – genau wie im VS-Bericht – dass eine linksextremistische Gesinnung mit „physischer Gewalt“ gegen Vertreter*innen des Staates einher ginge. Deshalb fragten die Abgeordnet*innen auch, wie viele Personen bei Adbustings bisher zu Schaden kamen. In der Antwort muss das Ministerium wenig überraschend kleinlaut zugeben: „Keine der als Adbusting bekannt gewordenen Straftaten ist als Gewaltdelikt eingestuft. Bei den hier bekannt gewordenen Taten kamen keine Personen zu Schaden“.

Ist unsachliche Kritik linksextrem?

Dazu führt das BfV aus, dass „selbstverständlich“ nicht alle Adbustings und auch nicht jede Kritik an Polizei und Staats „linksextrem“ seien. Für die im VS-Bericht erwähnte Adbusting-Aktion zum Polizeikongress ergäbe sich diese Zuordnung jedoch aus einem Bekenner*innenschreiben. Darin hieß es angeblich „verallgemeinernd“ und über eine „sachliche Kritik deutlich hinausgehend“: „In unser Gesellschaft steht Polizei für Gewaltausübung und institutionellen Rassismus. Und wer ein Problem mit sexistischen Übergriffen hat, sollte sich gar nicht erst bewerben.“ 

Polizei ist ausführende Gewalt

„Also ich hab in der Schule gelernt, dass in der Demokratie letztlich die Polizei die Exekutive als ausführende Gewalt vertrete“ wundert sich Klaus Poster von der Soligruppe Plakativ. „Der Staat hat Verstrickungen in den NSU, Polizist*innen schreiben Drohbriefe, arbeiten mit Racial Profilings und Angehörige von Polizei und Militär bilden faschistische Prepper-Netzwerke. Angesichts dessen abzustreiten, dass die Polizei ein Problem mit institutionellem Rassismus habe, ist lächerlich. Und wer das mit dem Sexismus nicht glaubt, möge sich bitte einmal mit einer ganz normalen Streife der Berliner Bereitschaftspolizei unterhalten“. Es sei außerdem sehr unterhaltsam, dass das BfV nicht einmal einen unsachlichen Satz a la „kapitalistisches Schweinesystem“ oder „faschistische Fratze“ präsentieren könne, um den Vorwurf der Unsachlichkeit zu belegen. „Das BfV sollte sich statt immer mehr Überwachungstechnik, lieber mal mehr Politische Bildung und Medienkompetenz zulegen“ empfiehlt Klaus Poster von der Soligruppe Plakativ.

Ist Adbusting strafbar?

Das BfV behauptet außerdem, dass Adbusting immer strafbar sei. Das ist hoch umstritten. Gerade erst im Dezember stoppte das Kriminalgericht Moabit einen Prozess gegen Adbusting und stellte das Verfahren ein: „Wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf: Wenn man schon Plakate austauscht, dann nimmt man die Originale nicht mit“ sagte die Richterin abschließend. Mindestens ein weiteres Verfahren wegen Adbustings stellte das Gericht im Dezember ohne Prozess sang- und klanglos ein.

Minderschwer

„Es handelt sich um minderschwere Kriminalität“ betonte dann auch der Berliner Innenstaatssekretär Akmann angesichts der Angewohnheit der Polizei, wegen überklebter Werbeplakate Hausdurchsuchungen zu veranstalten. Die Thüringer Staatsanwaltschaft positionierte sich in der Vergangenheit noch deutlicher: „Wir haben das eingestellt, weil das nicht strafbar ist“. Auch die Hamburger Staatsanwaltschaft stellte im Jahr 2018 Verfahren wegen Adbustings ein.

Gesellschaftliches Kopfschütteln

Doch die Kommunikationsguerilla gibt sich auch nachdenklich: „Wenn die Bundesregierung es nicht selbst geschrieben hätte, würde einem das kaum jemand glauben: Rechte Politiker*innen von Grünen bis AfD hetzen das Land auf, bei Bundeswehr, Polizei und Militär bereiten sich Nazi-Prepper auf den Tag X vor und angesichts mehrerer rechter Anschläge beschäfftigt sich das Extremismus-und Terrorabwehrzentrum mit überklebten Postern“ entrüstet sich Klaus Poster.

Knallende Sektkorken bei der Kommunikationsguerilla

In der Adbusting-Szene dürften derweil die Sektkorken knallen. „Was kann sich eine Kommunikationsguerilla mehr wünschen, als dass ein staatlicher Gewaltapparat gleich bei ein paar kritischen Plakaten das Extremismus- und Terrorabwehrzentrum anruft?“ fragt sich Klaus Poster von der Soligruppe Plakativ. Genau so eine Überreaktion angesichts von Papier und Kleister delegitimiere die Überwachung einer Gesellschaft durch Geheimdienste viel nachhaltiger, als es eine Adbusting-Aktion je könnte. „Hier zeigt sich die faschistische Fratze des kapitalitischen Schweinesystems!“ schließt Klaus Poster die Bewerbung für einen Eintrag im nächsten Verfassungschutzberich ab.

Mehr Infos:

Passende Bilder von einer Adbusting Aktion mit dem Verfassungsschutz:
https://de.indymedia.org/node/63532

Die Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag:
https://www.linksfraktion.de/nc/parlament/parlamentarische-initiativen/detail/einordnung-von-adbusting-als-linksextremes-gewaltdelikt-durch-das-bundesamt-fuer-verfassungsschutz/

Gerichtsprozess wegen Adbusting im Oktober 2019 in Berlin eingestellt:
https://taz.de/Ermittlungen-gegen-Adbusting-in-Berlin/!5628984/

Berliner Innensenat: Adbusting ist minderschwer:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1129263.werbeplakate-polizei-mit-kackbratze-beschaeftigt.html

Adbusting-Verfahren in Thüringen eingestellt:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1128063.zentrum-fuer-politische-schoenheit-ermittlungen-die-es-nie-haette-geben-duerfen.html

Bekenner*innenschreiben Adbustings zum Polizeikongress 2018:
http://maqui.blogsport.eu/2018/02/07/b-polizeikongress-protest-mit-adbusting-am-alex/

Adbustings mit dem Verfassungsschutz:
https://taz.de/Fake-Verfassungsschutz-Plakate-in-Berlin/!5662099/