Adbusting leider nicht mehr im Verfassungsschutzbericht

Große Überraschung anlässlich der heutigen Veröffentlichung des sogenannten  „Bundesverfassungsschutzberichtes“ durch Heimatminister Horst Seehofer. Die Aktionsform des Adbustings wird in dem geheimdienstlichen Machwerk mit keinen Wort erwähnt. Im letzten Jahr war das anders. Laut des Geheimdienstes waren damals von Linken veränderte Werbeplakate eine zentrale Bedrohung für die Demokratie und  das Terrorabwehrzentrum GETZ beschäftigte sich viermal mit Adbusting. Im aktuellen Bericht ist davon nichts mehr zu hören. „Kein Wunder“ sagt Klaus Poster, Sprecher*in der Soligruppe plakativ: „Geheimdienstliche Hetze ist ein stumpfes Schwert gegen Kommunikationsguerilla.“ Die Nennung im Bericht habe den Adbusting-Aktionen mehr Aufmerksamkeit als je zuvor gegeben. „ Das hat viele Kollektive angestachelt, sich ebenfalls mit einer Aktion für einen prestigeträchtigen Platz auf dieser „most-wanted-Liste“ zu bewerben.“

Mehr Adbusting als je zuvor
Neben den kritischen Nachfragen von Abgeordnet*innen und Medien dürfte den Geheimen aber auch aufgefallen sein, dass ihre Kriminalisierungsstrategie kontraproduktiv ist. Die Repression war nicht nur wirkungslos. Im Gegenteil: „Es gibt mehr Adbusting-Aktionen als in den letzten 10 Jahren  jemals zuvor“ sagt Klaus Poster. „Und gerade der Geheimdienst ist in 2020 ein beliebtes Ziel der Kommunikationsguerilla geworden“.

 

Adbusting mit dem Verfassungsschutz
Highlights, die die Geheimen nicht gefreut haben dürften, sind z.B. eine großangelegte Adbusting-Aktionsserie zum Polizeikongress 2020 im Februar. Zu diesem Termin begrüßte eine gefälschte Personalwerbekampagne die für den Kongress in die Hauptstadt gereisten Agent*innen.

https://taz.de/Fake-Verfassungsschutz-Plakate-in-Berlin/!5662099/

 

Im März kritisierten Adbustings direkt neben der Wache des Innenministeriums die Verfolgung von Adbusting und die Politik der Behörde.

https://blogs.taz.de/streetart/2020/03/11/gegen-geheimdienst-und-rassismus/

 

Im Mai klärten Adbustings im Regierungsviertel die Passant*innen über die mangelnde Geheimdienstkontrolle am Beispiel Adbusting und Kleine Anfragen auf:
https://www.jungewelt.de/artikel/379763.adbusting-in-berlin-geheimdienste-haben-daran-keinen-spa%C3%9F.html

Zum ersten Versuch der Vorstellung des VS-Berichts traf es die Geheimdienstkaserne in Berlin Treptow. Die dort stationierten Agent*innen und Spitzel mussten sich Kritik auf Werbeplakaten direkt dem Haupteingang gefallen lassen.
https://emrawi.org/?Adbusting-zur-Vorstellung-des-Verfassungsschutzberichts-973

Noch mehr Adbusting-Aktionen mit dem Geheimdienst:
https://emrawi.org/?Adbusting-mit-dem-Verfassungsschutzbericht-1012

Großes Medieninteresse
Doch damit nicht genug: „Erst die Repression hat ein großes Medieninteresse geweckt. Und mit jedem Bericht über die Repressionen wurden die Bilder der Poster, die Polizei und Militär lächerlich machen, einem noch größerem Publikum zugänglich“ analysiert Klaus Poster.

Geheimdienste machen sich selbst lächerlich
Darüber hinaus mache die ganze Adbusting-Affäre der Öffentlichkeit deutlich, wie blind Behörden auf dem rechten Auge seien, die lieber linke Adbustings verfolgen, als sich kritisch mit institutionellem Rassismus oder Nazis in ihren eigenen Reihen auseinander zu setzen. „Das delegitimiert die Polizeibehörden in der Öffentlichkeit auf eine Art und Weise, wie es Adbusting und Kommunikationsguerilla ohne die tatkräftige Hilfe des Geheimdienstes und seines lächerlichen Berichtes nie könnten.“

Adbustings diskreditieren Polizeibehörden
2018/19 sah die Welt für Adbuster*innen noch recht bitter aus. Der Geheimdienst „Bundesamt für Verfassungsschutz, der selten in der Lage ist, Nazis oder Rassist*innen in den Sicherheitsbehörden zu erkennen, behaupteten, folgendes heraus gefunden zu haben: „Neben physischen Angriffen auf Polizeikräfte versuchen Linksextremisten gezielt, die Polizeibehörden allgemein in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Dazu bedienen sie sich neben den klassischen Verbreitungsformen wie Printmedien auch der Aktionsform des „Adbustings“ (Bundesverfassungsschutzbericht 2018, S. 127).

 

Werbeplakate verfremden
Das BfV glaubte sogar zu wissen, wie Adbusting funktioniert: „Dabei verfremden Linksextremisten Werbeplakate der Polizei und anderer Sicherheitsbehörden im öffentlichen Raum, indem sie diese mit Parolen versehen, welche Polizeibeamte oder Angehörige der Sicherheitsbehörden als Verbrecher oder die Polizei als Instrument eines willkürlich agierenden Unrechtsregimes darstellen. So wurden im Vorfeld des am 6. und 7. Februar 2018 in Berlin veranstalteten Europäischen Polizeikongresses Werbeplakate der Berliner Polizei so verfremdet, dass damit der Polizei willkürliche Gewaltausübung, „institutioneller Rassismus“ und die Absicherung bestehender „Ausbeutungsverhältnisse“ unterstellt wurden“ (ebenda).

Viermal Thema im Terrorabwehrzentrum
Die Folgen der geheimdienstlichen Hetze ließen nicht lange auf sich warten. Derart angestachelt waren die bundesweiten Repressionsbehörden sich nicht zu doof, in 2018/19 sogar im 2012 angeblich u.a. gegen institutionellen Rassismus eingerichteten „Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern (GETZ)“ in Adbusting gleich viermal zu thematisieren.

Zum Vergleich: Die im letzten Jahr verbotene nationalsozialistische Terrorgruppe „Wolfsbrigade, gegen die die Bundesstaatsanwaltschaft ermittelt, bringt es laut einer parlamentarischen Anfrage auf gerade mal sechs Erwähnungen.

Hausdurchsuchungen und DNA, weil es die Bundeswehr „lächerlich“ macht
Und auch auf lokaler Ebene gings ab. Seit 2017 veranstaltete das Berliner LKA mindestens fünf Hausdurchsuchungen wegen Adbusting. Akten aus 2019 zeigen, dass das LKA bei Adbusting wie selbstverständlich DNA-Spuren sammelt, obwohl dies eigentlich nur bei „erheblichen Straftaten“ vorgesehen ist. Begründung für all diese Maßnahmen: Adbusting mache die Bundeswehr „gar lächerlich“.

Verfolgung der Meinung
Die Gerichte und Staatsanwaltschaften ließen diesen zustimmungspflichtigen Maßnahmen durchsegeln, obwohl diese explizit politisch begründet waren und sich gegen Meinungsäußerungen richteten („macht die Bundeswehr lächerlich“). Das zeigt, wie wenig rechtsstaatliche Begründungen die Verunsicherungsbehörden liefern müssen, wenn sich erst einmal herum gesprochen hat, dass bestimmte Aktionsformen vom Geheimdienst für genauso schlimm wie Terror gehalten werden.

HH: Polizei bewacht Werbeplakate im Hbf
Auch in anderen Bundesländern gingen Polizei und Staatsschutz gegen die Werbeplakate verbessernde Kommunikationsguerilla vor. In Hamburg stellte der Staatsschutz während des G20-Gipfels Polizist*innen ab, um im Hauptbahnhof Terroranschläge mittels Adbusting zu verhindern. Als es dann doch zu Adbustings kam, wertete der Staatsschutz umfangreich Videoaufnahmen aus und überprüfte Menschen, die auf Social Media Bilder von Adbustings mit ihren Followern teilten:
http://maqui.blogsport.eu/2019/11/11/bedroht-kommunikationsguerilla-den-staat/

DNA-Abgabe wegen Höcke-Kritik
In Thüringens Landeshauptort Erfurt ärgerte sich die Polizei über Adbustings, die den Faschisten Bernd Höcke als „nationalistischen Rattenfänger“ bezeichneten. Sie nahmen DNA-Spuren von beschlagnahmten Postern und Mitarbeiter*innen der Werbefirma und ließen diese auswerten, obwohl die Staatsanwaltschaft dies verboten hatte. Aus dem bayrischen Bamberg ist ein weiterer Fall dokumentiert, bei dem die Polizei einen aufgefundenen Rohrsteckschlüssel auf DNA-Spuren untersuchen ließ:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1128063.zentrum-fuer-politische-schoenheit-ermittlungen-die-es-nie-haette-geben-duerfen.html?sstr=haak

Soko in Dortmund
Nachdem in mehreren Städten Adbuster*innen die verlogene und heuchlerische Politik der SPD gegenüber Refugees thematisierten, gründete die nordrhein-westfälische Polizei eine Sonderkommission gegen Adbusting in Dortmund. Und auch die Hildesheimer Polizei fandet nach Adbuster*innen. Besonders besorgniserregend ist in den Augen der Cops, dass diese bei der Begehung der Taten vermutlich Warnwesten tragen…
https://www.freitag.de/autoren/lfb/wir-zuerst-spd
 
Gegenwind mit Öffentlichkeitsarbeit
Derweil gibt es auch Gegenwind für die Verunsicherungsbehörden. Angesichts eines bevorstehenden Gerichtsverfahren wegen Adbusting gründete sich um den Betroffenen die Soligruppe plakativ. In dieser Soligruppe versammelten sich größtenteils Menschen aus dem Umfeld der Betroffenen, die das unverhältnismäßige Vorgehen der Behörden nicht einfach hinnehmen wollten. Anlässlich des Gerichtsprozesses versuchten sie, mittels Öffentlichkeitsarbeit Medien für das skandalöse Vorgehen der Behörden zu sensibilisieren.

Parlamentarische Anfragen
Außerdem dazu kontaktierten sie Abgeordnete. Diese starteten parlamentarische Anfragen. Dadurch wurden noch mehr Informationen öffentlich. Parallel dazu versuchte die Soligruppe plakativ Kontakt zu anderen Betroffenen aufzubauen, um diese zu unterstützen. Zentral war dabei die Vermittlung des Wissens, wie man an die Verfahrensakte kommt und der Aufbau des Kontaktes zu Anwält*innen.

Juristisches Gutachten
Angeregt von der Soligruppe plakativ fertigten die Bremer Staats- und Verfassungsrechtler*innen Pr.of. Dr. Andreas Fischer-Lescano und Andreas Guthmann ein Gutachten zur Verfolgung von Adbusting:

https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetzt/

Das Resümee der Jurist*innen: „Auch unbequemes Adbusting ist grundrechtlich geschützt“. Dies gelte auch für eine Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht, dessen Eingriffscharakter das BVerfG mit verallgemeinerungsfähigen Erwägungen in Bezug auf die Pressefreiheit betone. Dabei würden die Sicherheitsbehörden offenbar gerade durch den Inhalt der durch die Adbustings geäußerten Meinung getriggert: „Warum sonst sollte das BfV Adbustings, die sich etwa kritisch mit Polizeigewalt befassen, pauschal dem gewaltorientierten Linksextremismus zuordnen? (..) Das Vorgehen gegen spezifische Meinungsinhalte wird von Art. 5 GG grundsätzlich untersagt. Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt.“

Gerichtsprozess in Berlin
Im Oktober 2019 stand in Berlin die erste Adbuster*in vor Gericht. Das LKA hatte sich ausgedacht, dass Adbusting mit Werbevitrinen den Straftatbestand des „Schweren Diebstahls“ erfüllen täte. Trotz fast dreistündiger Verhandlung konnten die Cops leider nicht darlegen, warum die Vitrinen „besonders gesichert“ seien, wenn man sie doch mit Rohrsteckschlüsseln aus dem Baumarkt öffnen könne. Und auch, warum billig gedruckte Einwegposter aus Papier einen „nicht geringfügigen Wert“ darstellen sollen konnten die Cops nicht erklären. Die Verhandlung endete mit einer Verfahrenseinstellung. Angesicht der dank der Öffentlichkeitsarbeit der Soligruppe breit vertretenden Hauptstadtpresse gab die  verurteilungswillig wirkende Richter*in dem Angeklagten ein entnervtes Statement mit auf den Weg: „Wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf: Wenn man schon Plakate austauscht, dann nimmt man die Originale nicht mit!“

StA Berlin: Nicht strafbar, wenn man eigene Poster mitbringt
Diese Rechtsauffassung scheint sich mittlerweile am Kriminalgericht Moabit durchzusetzen. Am 1. Mai 2020 wurde in Berlin eine Person mit eigenem Poster an einer geöffneten Vitrine von der Polizei umgerissen und sofort in Handschellen gelegt. Das Ansuchen des LKAs bei der Betroffenen* eine Hausdurchsuchung zu veranstalten und Kommunikationsmittel zur Ausforschung möglicher Mittäter*innen zu beschlagnahmen, lehnte die Staatsanwaltschaft ab (StA Berlin, 15.5.2020, 231 Js 1331/20). Begründung: „Eine Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls durch das Abhängen der ursprünglich im Schaukasten befestigten Plakate scheidet bereits aus, da die Plakate hinter dem Kasten versteckt aufgefunden wurden. Eine Zueignungsabsicht kann daher nicht festgestellt werden.“

Keine Sachbeschädigung
Auch eine Sachbeschädigung kann die Staatsanwaltschaft nicht erkennen: „Auch waren die ursprünglich befestigten Plakate noch intakt, sodass eine Sachbeschädigung allein im Sinne des Abs. 2 nicht in Betracht kommt. Dieser ist grundsätzlich weit gefasst, sodass es unter Umständen noch vom Tatbestand umfasst sein dürfte, dass die entfernten Plakate der optischen Wahrnehmbarkeit entzogen sind. Jedenfalls scheitert die Strafbarkeit jedoch daran, dass die Plakate kurzfristig und ohne großen Aufwand wieder in dem Kasten hätten befestigt werden können, sodass es sich um eine unerhebliche Veränderung der Sache handelt.“

StA Berlin: Ohne weitere Ermittlungen einzustellen
Doch die Hausdurchsuchungs- und DNA-geile Staatsschutzabteilung 521 bekommt noch einen Seitenhieb ab: „Das Verfahren gegen den Beschuldigten war daher ohne weitere Ermittlungen einzustellen.“ Damit erteilt die Staatsanwaltschaft dem LKA eine klare Grenze. Sie lehnt den Antrag auf Hausdurchsuchung ab und verbietet die Entnahme von DNA-Proben. Ob sich das LKA daran hält, wird die Zukunft zeigen.

Kein Schwerer Diebstahl
Auch die Kriminalisierung mittels des Vorwurfes des „Schweren Diebstahls“ halten Gutmann und Fischer-Lescano für „hanebüchen“. Zwar entstünde an den Plakaten (wenn überhaupt) ein geringer Sachschaden. Dass „unbewusst-bewusst“ die Unverhältnismäßigkeit in Kauf genommen werde, zeige schon ein Blick in die in Rede stehende Verfahrensakte: „Besonders schwerer Fall des Diebstahls strafbar gem. §243 II StGB“ wird dort das Delikt genannt (…) doch der hier fälschlich (Freud?) genannte § 243 Abs. 2 StGB bedeutet gerade das Gegenteil von einem Ermittlungsanlass wegen eines „besonders schweren Falls des Diebstahls“. Gerade die vom LKA in der Akte zitierte Norm ordne an, dass ein besonders schwerer Fall entfalle, wenn wie im Fall der vermeintlich entwendeten Plakate, die gestohlene Sache geringwertig sei.

Strafverfahren versanden
Damit hat sich die Situation für Adbuster*innen seit 2018/19 deutlich verbessert. Die bundesweiten Repressionsversuche gegen die Plakate verändernde Kommunikationsguerilla sind in der Regel versandet. Aus Thüringen und Berlin gibt es staatsanwaltschaftliche Einstellungsbeschlüsse, die keine Strafbarkeit feststellen können, wenn Adbuster*innen ihre eigenen Poster in Werbevitrinen hängen. „Geheime hassen Öffentlichkeit und kritische Fragen“ erläutert das Klaus Poster. „Das macht sie nervös. Die sind gewohnt, dass sie sich mit „alles geheim“ aus jeder Affäre ziehen können.“

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