Bundesinnenministerium: Adbusting doch nicht gewalttätig

Neue Erkenntnisse im Adbusting-Komplex: Das Bundesinnenministerium rückt von seiner Linie ab, dass veränderte Werbeposter dem gewalttätigen Linksextremismus zugeordnet werden können. Auch bei der Staatsanwaltschaft Berlin bezweifelt man zusehends die Strafbarkeit von Adbusting. In zwei Verfahren entschied die Behörde, dass es nicht strafbar sei, wenn Menschen ihre eigenen Poster in fremde Werbevitrinen hängen und lehnte u.a. Hausdurchsuchungen ab. Trotzdem beobachtet der MAD weiterhin das Bekleben von Werbepostern.

Innenministerium: Adbusting doch nicht gewalttätig
Noch im Verfassungsschutzbericht 2018 nannte das Bundesinnenministerium die Aktionsform des Adbustings, bei der die Aussage von Werbeplakaten mit Farbe oder Überklebern verändert wird, in einem Atemzug mit „physischen Angriffen auf Polizeikräfte“ und ärgerte sich über kritische Poster, die der Polizei „institutionellen Rassismus“ und „willkürliche Gewaltanwendung“ z.B. beim G20-Gipfel unterstellten. Die linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke fragte nun in einer aktuellen Fragestunde nach, warum Adbusting im neuen Verfassungsschutzbericht nicht mehr erwähnt werde.  Die Antwort der Bundesregierung: „Im Berichtsjahr 2019 lag der Schwerpunkt vor allem auf der zunehmend enthemmter werdenden Gewaltanwendung durch Linksextremisten. Die Darstellung des „Adbustings“ entfiel daher aufgrund der anders gewählten inhaltlichen Gewichtung“ (Frage 68, S. 151 https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19191.pdf ).

Ulla Jelpke: „Lächerlich, Adbusting in die Nähe von Gewalt zu rücken“
„Offenbar hat selbst der Verfassungsschutz eingesehen, wie lächerlich der Versuch war, künstlerische Verfremdung von Werbeplakaten für Polizei und Bundeswehr auch nur in die Nähe gewalttätiger Übergriffe zu rücken“ sagt die Abgeordnete Ulla Jelpke dazu. Dass Adbusting überhaupt erfasst wurde, zeige allerdings, dass die Künstlerinnen und Künstler mit dieser Aktionsform einen Nerv bei den staatlichen Institutionen getroffen hätten, so die Obfrau der Linksfraktion im Innenausschuss weiter: „Es ist weiterhin notwendig, den strukturellen Rassismus bei der Polizei ebenso wie den Einsatz der Bundeswehr für die Sicherung der Profite des Kapitals mit geeigneten Mitteln aufzudecken und anzuprangern. Adbusting ist eine phantasievolle und gewaltfreie Form der politischen Aufklärung.“
https://www.ulla-jelpke.de/2020/11/mad-registriert-weiterhin-militaerkritische-plakate/

Adbusting ist Thema im Terrorabwehrzentrum
Ulla Jelpke hatte bereits im Frühjahr 2020 mit einer Kleinen Anfrage nachgefragt, warum der Geheimdienst das Bekleben von Werbepostern mit physischen Angriffen auf Polizeikräfte gleichsetze und wollte auch wissen, wie viele Beamte schon durch Adbusting-Aktionen zu Schaden gekommen sei. Die Bundesregierung musste zugegen: Niemand. Dafür hatte sich das Geheimsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern (GETZ) in 2018/19 gleich vier Mal mit Adbusting beschäftigt:
https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/172/1917240.pdf

Adbusting-Aktionen mit dem Geheimdienst
Dieser vom Bundesamt für Verfassungsschutz zu verantwortende „Adbusting-Skandal“ sorgte für breite Berichterstattung und Kommunikatonsguerilla-Gruppen namen den Geheimdienst nun erst Recht aufs Korn (eine Übersicht der Aktionen:  https://plakativ.blackblogs.org/2020/07/09/adbusting-leider-nicht-mehr-i… ). Das Innenministerium dazu „Der Verzicht auf die Erwähnung sogenannter Adbusting-Aktionen im Berichtsteil „Linksextremismus“ im Verfassungsschutzbericht 2019 steht nicht im Zusammenhang mit Reaktionen auf deren Darstellung im Bericht für das Jahr 2018.“

„Auch unbequemes Adbusting ist grundrechtlich geschützt“
Die Aufführung von Adbusting im Verfassungsschutzbericht wurde auch von dem Bremer Staats- und Verfassungsrechtler Prof. Dr. Fischer Lescano in einem Gutachten kritisiert: „Insgesamt entsteht gerade vor dem Hintergrund des in aller Regel geringen Sachschadens durch Adbusting der Verdacht, dass der Ermittlungseifer vom Inhalt der Adbustings befeuert wird – gerade wenn diese sich kritisch mit Polizei, Geheimdiensten und Bundeswehr auseinandersetzen. (…) Das Vorgehen gegen spezifische Meinungsinhalte wird von Art. 5 GG grundsätzlich untersagt. Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt. (…) Gleiches gilt etwa auch für eine Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht, dessen Eingriffscharakter das BVerfG mit verallgemeinerungsfähigen Erwägungen in Bezug auf die Pressefreiheit betont (Rn. 50 ff.).“
 https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetzt/

Staatsanwaltschaft Berlin: Adbusting nicht strafbar, wenn man eigene Poster mitbringt
Derweil sieht die Staatsanwaltschaft Berlin wohl bereits länger als bisher bekannt keinen Anlass mehr, Adbusting zu kriminalisieren; zumindest wenn bei dieser Aktionsform Aktivist*innen ihre eigene Plakate in Werbevitrinen hängen. Das stellte die Behörde in zwei Entscheidungen, die der Soligruppe plakativ zugespielt wurden, deutlich klar. 

Am 1.5.2020 legte die Berliner Polizei eine Person in Handschellen, weil diese in eine Werbevitrine ein selbstgemachtes Poster hängte, dass die in Berlin geplante Ausrichtung des „Tags der Bundeswehr“ kritisierte. Kritik an der Bundeswehr, da versteht die Staatsschutzabteilung 521 keinen Spaß und beantragte sofort mit einem Dringlichkeitsbeschluss eine Hausdurchsuchung. Um die Verhältnismäßigkeit zu simulieren, behauptete das LKA, dass es sich um „Schweren Diebstahl“ handeln würde. Der Trick dabei: Bei besonders schwerem Diebstahl (also dem Diebstahl von besonders abgesicherten Gütern, man stelle sich zum Beispiel einen Tresor vor, der erstmal geknackt werden muss) liegt das Mindeststrafmaß bei drei Monaten Knast aufwärts.

Hausdurchsuchung abgelehnt
Doch der Staatsschutz beim LKA kassierte eine herbe Absage. Die Staatsanwaltschaft lehnte den Antrag ab und verfügte außerdem die sofortige Einstellung des Verfahrens: „Eine Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls durch das Abhängen der ursprünglich im Schaukasten befestigten Plakate scheidet bereits aus, da die Plakate hinter dem Kasten versteckt aufgefunden wurden. Eine Zueignungsabsicht kann daher nicht festgestellt werden“ (Staatsanwaltschaft Berlin, 18.5.2020, 231 Js 1331/20)

Der Trick mit dem Diebstahl
Ein neuer Aktenfund der Soligruppe plakativ zeigt: Der Staatsschutz-Abteilung lag im Mai 2020 bereits eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft Berlin aus dem Dezember 2019 vor, die den Trick mit dem Schweren Diebstahl für illegal erklärte. Am 3.12.2019 stellte die Staatsanwaltschaft Berlin ein Verfahren gegen eine Adbuster*in ein. Die Betroffene hatte zusammen mit einer Freundin ein verändertes Bundeswehrposter in eine Werbevitrine gehängt, und war dabei von der Polizei gestellt worden. Im September 2019 veranstaltete das LKA 521 deswegen drei Hausdurchsuchungen im Umfeld der Betroffenen. Auch dabei verwendete das LKA den Trick, zu behaupten, dass es sich bei Adbusting um „Schweren Diebstahl“ handeln würde und rechtfertigte damit die Razzien.

Adbusting ist kein Diebstahl
Doch der Einstellungsbeschluss 231/Js1812/19 vom 3.12.2019 stellt klar, dass die Staatsanwaltschaft im Gesehen keinen Schweren Diebstahl erkennen kann: „Strafrechtlich ist der Sachverhalt vom 13.05.2019 wie folgt zu bewerten: Eine Strafbarkeit gemäߧ 243 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB kommt nicht in Betracht: Zum einen ist die Anwendbarkeit wegen Abs. 2 StGB fraglich. Zum anderen käme hier nur Versuch in Betracht. Da aber aus anderen Fällen des sog. Adbusting bekannt ist, dass die ursprünglichen Plakate nicht immer mitgenommen, sondern teilweise auch in dem Werbekasten belassen werden, kann hier nicht unterstellt werden, dass die Beschuldigten das ursprüngliche Plakat mitnehmen wollten.“ Folgerichtig erfolgte die Einstellung wegen Geringfügigkeit (§153 StPO, Staatsanwältin Eppert, 231/Js1812/19).

 

MAD sammelt weiter Daten zu Adbusting
Auch wenn Staatsanwaltschaften die Strafbarkeit von Adbusting mittlerweile immer mehr bezweifeln und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz beim Adbusting keine Gewalttätigkeit mehr erkennen kann, sammelt der Militärische Abwehrdienst munter weiter Daten. Laut der Antwort der Regierung auf die aktuelle Frage der abgeordneten Jelpke hat der Militärgeheimdienst im Jahr 2020 schon dreizehn Adbusting-Aktionen registriert. Dabei sammelt der Geheimdienst weiter wie selbstverständlich Meinungsäußerungen: „ Aufhängen von selbstgestalteten Plakaten mit die Bundeswehr diffamierendem Inhalt.“

„Langsam wird’s eng für den Staatsschutz“
„Langsam wird’s eng für den Staatsschutz und die Geheimdienste“ sagt Klaus Poster, Sprecher*in der Soligruppe plakativ. „Nicht mal mehr das Innenministerium hält an der Story, das Adbusting gewalttätig sei, fest. Und immer mehr Staatsanwält*innen bezweifeln die Strafbarkeit. Nur der MAD und das Berliner LKA halten noch an der Rechtsauffasung fest, das Hausdurchsuchungen, DNA-Untersuchungen und geheimdienstliche Listen verhältnismäßig seien, weil Adbusting die Bundeswehr „gar lächerlich“ mache.“

Adbusting ist doch nicht gewalttätig:
Frage 68, S. 151 https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19191.pdf

Adbusting-Aktionen mit dem Geheimdienst:
https://plakativ.blackblogs.org/2020/07/09/adbusting-leider-nicht-mehr-im-verfassungsschutzbericht/

Gutachten zur Rechtswidrigkeit des Vorgehens des LKAs von Prof. Dr. Fischer-Lescano:
https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetzt/

Der Adbusting-Beschluss der Staatsanwaltschaft Berlin 231 Js 1331/20 vom 18.5.2020:
http://plakativ.blackblogs.org/2020/06/24/sta-berlin-adbusting-ist-straffrei-wenn-man-seine-eigenen-poster-mitbringt/

 

Am 21.11.20 erschien in der jungen welt ein Artikel von Felix Jota zur neuen Einschätzung des Bundesinnenministeriums bezüglich Adbusting.

https://www.jungewelt.de/artikel/390927.adbusting-adbusting-ist-politische-aufklärung.html